30.04.2025

Taiwan Today

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Moderne Frauen, traditionelle Männer

01.05.2008
In Taiwan streben immer mehr Frauen nach höherer Bildung. (Foto: Chang Su-ching)

Die zunehmende Wirtschaftskraft von Frauen und sich wandelnde Ansichten über Ehe wirken sich auf die Dynamik des taiwanischen Familienlebens aus.

Ji Guan-ling, Leiterin des Frauenverbandes Warm Life Association for Women, ist aufgefallen, dass immer mehr Frauen mit der gleichen Frage zu Warm Life kommen: “Wieso muss ich die ganze Hausarbeit machen, wenn ich doch genau wie mein Mann ganztags arbeite?”

Da sich taiwanischen Frauen dank höherer Bildung, finanzieller Unabhängigkeit und größerem sozialen Spielraum mehr Möglichkeiten bieten, überdenken viele die Rolle der Ehe in ihrem Privatleben. Mehr Frauen wollen mehr Gleichberechtigung in der ehelichen Beziehung, und wenn sie das nicht bekommen können, bleiben sie lieber alleinstehend, oder sie heiraten später oder lösen sich aus einer unglücklichen Ehe.

Das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter, also gleiche Rechte für Männer und Frauen, fasst allmählich in Taiwans Gesellschaft Fuß. Frauen verlangen nicht nur gleiche Chancen am Arbeitsplatz, sondern auch gleiche Rechte und Pflichten in der Ehe und daheim. Ji sagt, dass für viele Frauen bezahlte Arbeit wirtschaftlichen Nutzen und Respekt am Arbeitsplatz bietet, doch zu Hause warten weiterhin die alten Haushaltspflichten. In einer solchen Situation ist es nur natürlich, dass viele Frauen heute zögern, den Bund fürs Leben zu schließen, meint sie.

Traditionell wird laut Ji die Rolle der Frau als “Hausfrau” durch eine starke Familienstruktur bekräftigt. “In der modernen Gesellschaft wird die [traditionelle] Struktur der Familie lockerer, und heute müssen Frauen oft außer Haus arbeiten, um die Familie zu unterstützen.”

Zwar ist der Durchschnittsverdienst von Frauen weiterhin geringer als der von Männern, doch sie holen langsam aber sicher auf. Laut der Generaldirektion für Budget, Rechnungswesen und Statistik (Directorate-General of Budget, Accounting and Statistics, DGBAS) betrug der Verdienst von Frauen im Jahre 2005 im Dienstleistungssektor 78 Prozent von dem der Männer, gegenüber dem Mittelwert von 1995 eine Zunahme von 8 Prozent. Der Trend ist auch in vielen anderen Berufsbereichen zu verzeichnen, darunter Einzelhandel, Immobilien, Finanzen und Versicherungen, Verlagswesen und Werbung.

Diese neue Wirtschaftskraft wirkt sich auf die Dynamik des Familienlebens aus. Die neue weibliche Identität als Brötchengeber in der Familie versetzt sie laut Ji in die Lage, in der ehelichen Beziehung mehr zu verlangen. “Wenn man in der Ehe Macht gewinnen will, muss man Geld haben”, schlussfolgert sie.

Im Alleingang

Taiwans Scheidungsrate erreichte im Jahr 2003 einen historischen Spitzenwert von 0,287 Prozent, beinahe doppelt so hoch wie die 0,145 Prozent nur zehn Jahre zuvor. Während es verschiedene Erklärungsmuster für die Zunahme gibt, vermutet Ji Guan-ling von Warm Life, dass Frauen im Vergleich zu früher eher bereit sind, sich aus einer unglücklichen Beziehung zu lösen, da es ihnen finanziell besser geht oder sie die Gelegenheit haben, sich ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Für Frauen, die sich geschäftlich selbständig machen möchten, ist zudem staatliche Hilfe verfügbar.

Wei Chien-yi ist eine der Dozentinnen und Sprecherinnen, die für das von der Nationalen Jugendkommission (National Youth Commission, NYC) gesponserte Programm “Frei und jung” des Regierungskabinetts werben. Das Programm soll Frauen dabei helfen, ihr eigenes Geschäft zu gründen. Die gebotenen Dienste umfassen Eignungstests, Schulungs- und Führungsprogramme, Vernetzung der Mitglieder und weiblicher Unternehmer untereinander, Online-Beratung sowie Hinweise auf verfügbare Ressourcen.

2007 wurde das Programm durch den “Schmetterlings-Plan” erweitert, der für alleinstehende Mütter, Frauen mit geringem Einkommen oder Opfer ehelicher Gewalt Vor-Ort-Schulung und Beschäftigungsgelegenheiten bereithält.

Seit der Einführung des Planes im Juli 2007 haben 47 Unternehmen über 100 praktische Schulungssitzungen beigesteuert, und über 30 Frauen haben das Programm bei der Vorbereitung einer eigenen Geschäftsgründung genutzt. Wei ist Besitzerin einer bekannten Indigo-Färbemarke in Taiwan namens Anewei, und sie ist eine der Unternehmerinnen, die Frauen im Rahmen des Schmetterlings-Planes Beschäftigungsmöglichkeiten bieten.

Als geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter versteht Wei die Bedürfnisse geschiedener Frauen und bemerkt, dass solche Ressourcen zu der Zeit, als ihre Ehe zerbrach, ihr nicht zur Verfügung standen. Als Frau, die ohne fremde Hilfe ihr eigenes Geschäft gründete, stieß sie auf Schwierigkeiten, doch nach ihrer Überzeugung hat ihr Erfolg bewiesen, dass die Frauen von heute finanziell und psychologisch unabhängig von Männern sein können. Die heutigen Frauen erwarten faire Behandlung und gleichberechtigten Status, so Wei.

Wei, die mit ihrer Tochter vor fünf Jahren vom damaligen Gatten aus der ehelichen Wohnung vertrieben und dadurch mittellos wurde, kann heute mit einem selbstbewussten Lächeln über ihre Erfahrung sprechen. “Vielleicht hätte ich nie herausgefunden, wieviel Potenzial ich habe, wenn ich verheiratet geblieben wäre”, sinniert sie.   

Ausgesondert

Wei sagt, sie begrüßt die Anstrengungen der Regierung, Frauen zu helfen, doch gleichzeitig befürchtet sie, zu viel "Schutz" könne die Autonomie von Frauen schwächen. “Es ist besser, einem Menschen das Angeln beizubringen, als ihm einen Fisch zu geben”, philosophiert sie. “Die Regierung sollte mehr berufliche Schulung in das Programm aufnehmen; gleichzeitig sollten Frauen unabhängiger sein. Psychologische Unabhängigkeit ist ebenso wichtig wie finanzielle Unabhängigkeit.”

Unabhängig sein ist etwas, womit viele alleinstehende Frauen von vorneherein vertraut sind. Nach den Worten von Chen Yu-hua, Abteilungsleiterin für Bevölkerungsstudien im Zentrum für Bevölkerungs- und Geschlechterstudien der National Taiwan University (NTU) in Taipeh, gibt es bei manchen Gruppen von Frauen einen größeren Anteil von Alleinstehenden. Chen verweist auf Zahlen des Innenministeriums, laut denen es in der Altersgruppe über 15 Jahre etwas mehr Männer als Frauen gibt, im Jahre 2006 waren es 130 000 Männer mehr. Obwohl sie mehr Männer als potenzielle Heiratspartner zur Auswahl haben, zeigt eine Aufschlüsselung der Statistik, dass 26 Prozent der Frauen zwischen 35 und 44 Jahren mit College-Abschluss unverheiratet sind, verglichen mit 17 Prozent der Männer dieser Altersgruppe. “Frauen verschieben ihre Heiratspläne, nachdem sie Zeit für höhere Ausbildung aufgewandt haben”, deutet Chen, und das habe wiederum Auswirkungen auf ihre Heiratschancen. Wenn man älter ist, schadet der Altersfaktor laut Chen Männern weniger als Frauen. “Männer werden im Alter nicht weniger ‘begehrenswert’, Frauen schon”, kritisiert sie.

Wie dem auch sei, unter Frauen gibt es das Gefühl, dass Heiraten nicht die einzige Option für sie ist und Bildung bei den meisten Frauen mehr als den Zeitplan für das Leben ändert. “Bildung wandelt auch ihre Ansichten über Ehe -- sie betrachten es nicht mehr als Austausch von Ressourcen, sondern nun als gleichberechtigte Beziehung, in der die Ehepartner einander unterstützen”, erklärt Chen. “Es gibt heute außerdem weniger sozialen Druck für alleinstehende Frauen, besonders in städtischen Gebieten.”

Chi Hui-jung, CEO der Stiftung Garden of Hope Foundation, einer nichtstaatlichen Organisation (Non-governmental Organization, NGO) für Frauen und Kinder, hatte in jüngeren Jahren eine Ehe in Betracht gezogen, entschied sich dann aber dafür, unverheiratet zu bleiben. “Ich überprüfte die Prioritäten in meinem Leben, und ich war nicht bereit, für den Rest meines Lebens mein Glück von einem Mann abhängig zu machen, außer wenn eine gleichberechtigte Bindung eingegangen würde”, konstatiert sie. Anfangs drängten ihre Eltern sie, zu heiraten, doch nach und nach akzeptierten sie ihre Entscheidung. “Heute sagt mir mein Vater, er sei sehr stolz auf mich und meine Arbeit”, freut sie sich. Mehr als je zuvor ist Chi davon überzeugt, dass es eine gute Sache ist, unverheiratet zu sein. “Ich führe ein reichhaltiges Leben mit meiner Arbeit, meinen Freunden und Familienmitgliedern. Mir gefällt die Freiheit, auch dass ich mehr Zeit und Energie habe, mich um meine Familie zu kümmern.”

Nach den Worten von Fu Li-yeh, Professorin am Graduierteninstitut für Sozialverwaltung und Sozialarbeit der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh, wollen die meisten Frauen heute nicht nur gleichberechtigten Status in einer Beziehung, sie suchen außerdem nach Partnern, die sie emotional unterstützen. “Viele Männer wollen das auch, aber gleichzeitig sind viele von ihnen nicht bereit, die patriarchalische Hierarchie einer traditionellen Familie aufzugeben”, weiß Fu und fügt hinzu, dass das manche Männer dazu veranlasste, nach Heiratspartnern aus dem Ausland zu suchen.

Der jüngste Bericht des Innenministeriums zeigt, dass bei 18,3 Prozent der Eheschließungen des Jahres 2007 ein ausländischer Partner beteiligt war. Diese Einwanderer waren in der überwiegenden Mehrzahl Frauen (über 85 Prozent dieser Ehen wurden zwischen einem taiwanischen Mann und einer ausländischen Frau geschlossen), und die meisten von ihnen kamen aus China oder südostasiatischen Ländern.

Fu von der NCCU und Ji von Warm Life finden, dass die Männer in diesen Fällen Frauen suchen, die bereit sind, sich mit einem Familienleben auf der Grundlage traditioneller Geschlechterrollen zu begnügen. Sie weisen außerdem darauf hin, dass solche grenzüberschreitenden Ehen die Geschlechter-Diskriminierung verschärfen könnten. Da laut Fu für die ausländischen Ehefrauen weniger soziale Unterstützungssysteme zur Verfügung stehen, besteht für sie eine größere Gefahr, unfair behandelt zu werden. Ji sagt, ausländische Ehefrauen haben normalerweise in der Ehe einen niedrigen sozialen Status, besonders in Verbindungen, die von einem bezahlten “Heiratsvermittler” arrangiert wurden.

“Das größte Problem [in Taiwan] ist, dass Männer sich weigern, das Wachstum von Frauen zu akzeptieren, und sie wollen, dass die Dinge so bleiben, wie sie früher waren”, lamentiert Ji.

Kinder oder Karriere?

Während manche Frauen sich “gedrängt” fühlen, zwischen einer traditionellen Ehe oder vielleicht gar keiner Ehe “zu wählen”, ist Taiwans Gesamtfruchtbarkeitsrate gesunken und erreichte im Jahre 2005 einen historischen Tiefstand von 1,1 Kindern je Frau. Die Rate misst die vorherrschende Fruchtbarkeit in dem betreffenden Jahr, und niedrigere Geburtenraten sind ein bedeutender Faktor für Taiwans zunehmend “ergrauende” Gesellschaft.

Um die Geburtenrate zu steigern, kündigte der Exekutiv-Yuan (also Taiwans Regierungskabinett oder Ministerrat) einen neuen Kinderpflege-Zuschuss für Familien mit niedrigem oder mittleren Einkommen an. Seit April dieses Jahres haben alle verheirateten Paare, bei denen beide Partner berufstätig sind und die gemeinsam ein Jahreseinkommen von weniger als 1,5 Millionen NT$ (31 250 Euro) brutto verdienen, Anspruch auf einen Kinderpflege-Zuschuss von 3000 NT$ (62,50 Euro) im Monat je Kind unter 2 Jahren. Zwar zeigt der Plan, dass die Regierung die Sache ernst nimmt, doch haben manche wegen der Methode Vorbehalte.

Fu Li-yeh von der NCCU sagt, ein Bericht der jüngsten Zeit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development, OECD) legt den Schluss nahe, Zuschüsse für Kinderpflege wären nicht die beste Vorgehensweise. “Erschwingliche öffentliche Einrichtungen mit guter Qualität, bei denen Früherziehung mit Kinderfürsorge kombiniert wird, haben sich als wirkungsvoller erwiesen”, behauptet sie.

Chi Hui-jung sieht das ähnlich und fügt hinzu: “Die meisten heutigen Kinderhorte sind teuer und zu stark kommerzialisiert.” Laut Chi würde mehr Zugang zu öffentlicher Kinderfürsorge günstigere Bedingungen für Frauen schaffen, die Kinder haben wollen, besonders für jene, die nach der Entbindung weiter eine berufliche Laufbahn verfolgen möchten.

Chen Yu-hua von der NTU macht darauf aufmerksam, dass für die meisten taiwanischen Frauen “Kinderkriegen immer noch eng mit Ehe verknüpft ist”. Ihrer Ansicht nach liegt die Lösung für Taiwans niedrige Geburtenrate darin, zu den Grundlagen zurückzukehren, mit anderen Worten, den Frauen zu raten, dass sie heiraten sollen.

Die NGO-Führungskräfte Ji Guan-ling und Chi Hui-jung betonen, Bildung sei der Schlüssel für die Förderung von Beziehungen, in denen beide Partner gleichberechtigt sind. Sie sagen, das würde Frauen ermuntern, eine Ehe zu schließen und mehr Kinder zu haben. “Es läuft alles auf Bildung hinaus und darauf, gute Gewohnheiten für beide Geschlechter zu entwickeln”, meint Ji und ergänzt, sie habe ihre Kinder dazu erzogen, die Hausarbeit zu teilen und sich stärker an Aktivitäten der Familie zu beteiligen. Chi findet, solche Veränderungen seien Teil eines unumkehrbaren Trends. Anstatt zu versuchen, die traditionelle Familienstruktur zu erhalten, sollte die Gesellschaft sich ihrer Ansicht nach darauf konzentrieren, wichtige Familienwerte zu bewahren, etwa Respekt, Liebe und Anteilnahme. “Es ist wesentlich für Kinder, zu lernen, wie man Vertrauen aufbaut, wie man mit einem Konflikt umgeht und wie man sich versöhnt”, doziert Chi. “Erziehung zu Gleichberechtigung ist in Wirklichkeit Erziehung über Menschenrechte. Der Schlüssel ist Respekt.”

(Deutsch von Tilman Aretz)

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